Manches zu Arno Schmidt – Das steinerne Herz
Das steinerne Herz und die Prinzessin von Ahlden
Hannover erreichen sie am Montagmorgen, den 26. Juli. Es erwartet sie im frisch renovierten Bahnhof ein geöffneter Wartesaal, wo sie ein Frühstück, bestehend aus Bier und Würstchen, zu sich nehmen, bevor sie im Dauerregen mehr laufend als gehend die Landesbibliothek erreichen. Ein Schirm wird nicht angeschafft: viel zu teuer ! Der Herr Professor Schnath erwartet bereits den angemeldeten Arno Schmidt, und während er in der Landesbibliothek Dokumente liest und Abschriften macht, erledigt Alice unten im kleinen Lesesaal die ihr von Arno aufgetragenen Abschriften. In ihrem Tagebuch von 1954 vermerkt Alice Schmidt:
„ Und wir arbeiten. Arno durchsieht ganze Aktenbündel Akten über die Prinzessin von Ahlden. Interessant. Alles ist aufbewahrt. Ganz interessante Stücke zeigt er mir zwischendurch mal schnell. Ich kopiere 8 Staatshandbuchseiten …. Aber manchmal kommt doch die Müdigkeit stark durch. Hilft nichts. – Nach 14h sind wir fertig.“
Es regnet nicht mehr, also zurück zum Bahnhof. Eine Stärkung mittels Bratwurst und „schlesischer Knoblauchwurst„, die keine war. Arno Schmidt aber geht der Trubel der Stadt Hannover furchtbar auf die Nerven, zumal gerade Sommerschlussverkauf ist:
„Las uns bloß heimfahren. Ich halte mit meinen Nerven keine Großstadt mehr aus „.
Im Aktualitätenkino bringt Arno Schmidt eine Zeichentrickfilm mit dem Titel „Hawaiian Holiday“ jedoch wieder zum Schmunzeln. Um 17 Uhr besteigen sie endlich den lang erwarteten Eilzug von Hannover nach Hamburg über Walsrode und Soltau.
Alter Holzschuppen am Haus No.31
In Schwarmstedt steigen sie in den Zug nach Verden , und Arnos Miene hellt sich auf:“ Arno ging sein ganzes Herz auf als er die sich jetzt wiedermal auftuenden weiten Wiesen und Wälder Norddeutschlands sah. Und schöne umheckte Weiden warens und schöne hohe Wälder „.
Schild am Haus „Thumann“ No.31
Heute ist Ahlden ein Bestandteil des Aller Radwegs und auf diesem durch die Allerwiesen gut zu erreichen. Von Schwarmstedt im Süden kommend wird er im Nordwesten des Ortes auf der Trasse der stillgelegten Bahnlinie Verden-Schwarmstedt nach Rethem (Aller) weitergeführt. Auch der Leine-Heide-Radweg führt durch diesen Ort, in etwa 11 km von Schwarmstedt kommend und weiter nach Hodenhagen (2 km) und Soltau (40 km) führen. Durch Ahlden führt eine Variante des Jakobsweges, des Jakobuswegs Lüneburger Heide, auf dem Abschnitt von Hittfeld nach Mariensee.
Berühmt wurde das Schloss Ahlden als Verbannungsort der Celler Herzogstochter Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg , der Gattin des Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover (später Georg I. von England) der sogenannten „Prinzessin von Ahlden“.
„Dann war der Schlafraum der Prinzessin mit einem nicht besonders tiefen Alkoven in dem das Bett gestanden. Sehr viel Platz hat sie darin nicht gehabt. …. Als einzige Erinnerung an seine Bewohnerin hing nur ein Stich, ihr Porträt, da. Eine dunkle, mit Blumen geschmückte Schönheit . – Im Nebenraum … war sie als Leiche aufgebahrt. – So, wieder hinunter“.
Der Morgenspaziergang führt sie naturgemäss sofort wieder zum Schloß Ahlden , wo sie auch den Amtmann wiedersehen, der ihnen noch einige alte Bäume an der alten Leine zeigt. Sie „knipsen“ das Schloß von allen Seiten bevor sie zum Mittagessen in den Gasthof zurückkehren. Es erwartet sie dort ein üppiges Mittagsmahl, bestehend aus Koteletts, neuen Kartoffeln und Blumenkohl, in den kleine Fleischbällchen hineingesteckt sind:
“ Sah frappant aus und schmeckte auch gut. Salat noch……ein Ortsansässiger erzählt, könne sich erinnern, wie in seiner Jugend noch Leute im Ort gewesen wären, die Sachen v. der Prinzessin gehabt hätten „.
Sie gehen nochmals durch den Flecken Ahlden: Arno Schmidt nummeriert auf einer von ihm selbst gezeichneten Kartenskizze des Ortes alle Häuser durch, Alice notiert zu jedem Haus die ihr von Arno diktierten Beschreibungen und Anmerkungen. Das alte Wappen der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg Celle von 1613 an der Schloßfassade wird abgelichtet sowie auch das Schloß von der alten Leineseite aus fotografiert.
Das Wappen der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg 1613 an der Schloßfassade
Weiter gehts vorbei am Drogisten, an der Sparkasse „( mit dem hübschen alten Holzbalkönchen)“. Im kleinen Eisladen, einem netten Lokälchen, setzen sie sich und essen jeder einen Becher Eis: “ Donnerwetter, das schmeckt aber gut ! “
Vom Eisverkäufer, einem Flüchtling aus Ostpreußen müssen sie erfahren, daß ihm zum Jahresende die Pacht gekündigt wurde; er muß künftig anderenorts sein Glück suchen. Überhaupt treffen sie auf mancherlei entwurzelte und zerrissene Nachkriegsexistenzen in dem kleinen Flecken am Rande der Heide. Ein siebenjähriger Junge aus der Familie der Gasthausbetreiber starb vor einer Woche an einer Blutvergiftung nachdem er sich bei einem Sturz eine leichte Knieverletzung zugezogen hatte. Die Stimmung ist gedrückt.
Der Rundgang durchs Dorf wird fortgesetzt, die Route durch Ahlden wird von Alice Schmidt in ihrem Tagebuch sehr ausführlich geschildert. Es gibt ja mittlerweile auch websites, auf denen jeder einzelne Schritt des Dichters akribisch vermerkt ist ! Notizen werden dabei von Alice Schmidt, teils nach Diktat, eifrig gemacht sofern es ein stellenweise niedergehender Regen erlaubt; es wird eifrig geknipst. Das komische, turmartige Spritzenhaus, in dem die Schläuche zum Trocknen hängen, die Kirche. Das Kaufhaus Wilhelm Gellermann hat eine hübsche Dekoration zum Schlußverkauf in dem Fenster, was Alice eine ausführliche Anmerkung wert ist.. Dann geht es rechts hinüber zum Büchtener Holz und zurück, schräg gegenüber sehen sie die „Bunkenburg“.
„verwirrende Sagen der Einwohner: dort hätte das Schloß eines Raubritters gestanden Arno hält das für strategischen Wahnsinn“.
Nun gilt es noch, für den neuen Roman „Das steinerne Herz“ das Haus des Romanhelden Walter Eggers auszusuchen. Sie einigen sich auf ein eher unscheinbares Haus Nr. 31 am Ende einer Straße mit weitem Blick über Wiesen, Viehweiden und umheckte Felder und einem Hof dahinter, Arno Schmidt gefällt der Ort sofort. Und daneben so eine lange, schwarze Holzscheune.
Und bunte Kühe stehen auch herum, und in manchen Weiden auch Pferde. Alles wird fotografiert, insgesamt drei Filme sind nun voll geworden und werden in einem Karton nachhaus geschickt; sie wollen diese wichtigen Dokumente vorsichtshalber nicht nach Ostberlin, in die damals sogenannte „sowjetische Besatzungszone“, mitnehmen.
„Wenns verloren geht, war die ganze Reise umsonst“.
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„Arno Schmidt schrieb gegen die Zeit, gegen den vorherrschenden Zeitgeschmack und Zeitgeist. Seine literarischen Figuren, vornehmlich die Ich-Protagonisten, sind Spielrollen auf einer Bühne, auf der es um den beständigen Konflikt des intellektuellen Einzelnen mit einer geistwidrigen, unvernünftigen Umwelt geht, die das Individuum bedroht, verfolgt, in ihre Gewalt zu bringen, unter- und einzuordnen versucht.“
Hartmut Vollmer, „Das vertriebene und flüchtende Ich“ in Arno Schmidt (ed. M.Schardt and H. Vollmer, 1990)
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Arno Schmidt und die internationale Moderne von Friedhelm Rathjen lesen Sie hier
Was man über Ahlden unbedingt wissen muss !
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